Digital im Dorf


Zukunftsfähige Hausarztpraxis auf dem Dorf


4.000 Einwohner, ein Hausarzt: warum Dr. Alexander Mittlmeier sich gerade das südbadische Maulburg ausgesucht hat, um seine Vision einer zukunftsfähigen Praxis zu verwirklichen.
Er war mit der Familie im Urlaub, damals vor zwei Jahren, als die Entscheidung fiel. "Ich hatte schon lange vor, mich in Südbaden niederzulassen", erzählt Alexander Mittlmeier. Doch es dauerte, den richtigen Standort zu finden. Bis der Arzt, zu der Zeit noch in Rüdesheim am Rhein in einer Hausarztpraxis angestellt, eine Anzeige des Landkreises Lörrach in einer Praxisbörse entdeckte. Beim dortigen Gesundheitsamt erfuhr er von der schwierigen Lage der Gemeinde Maulburg: Kein einziger Hausarzt war damals im Ort vertreten, der letzte vor Jahren verstorben. Für manchen womöglich ein Horrorszenario. Mittlmeier aber wurde neugierig. Er sprach mit dem Bürgermeister und stellte bald fest, dass sich seine zukunftsweisenden Ideen zur ärztlichen Primärversorgung mit den Maulburgern verwirklichen lassen könnten: Einen Hol- und Bringdienst für gebrechliche Patienten schaffen, eine Gemeindeschwester einstellen - die Maulburger zeigten sich offen für Neues. Ein Gutachten der apoBank, schon vor Mittlmeiers Kontaktaufnahme erstellt, bescheinigte dem Standort zudem beste Perspektiven. Und dennoch: War das eine kluge Idee, sich kurz vor der Schweizer Grenze niederzulassen, in einem kleinen, unterversorgten Ort - als einziger Allgemeinarzt weit und breit?

Patienten melden sich mit der Versichertenkarte selbst an

Alexander Mittlmeier lächelt. "Ich hatte ja ein klares Konzept im Kopf, als ich mich für Maulburg entschieden habe." Die Praxisräume im neuen Ortskern neben der Apotheke, schon lange für den ersehnten neuen Inhaber freigehalten, ließ der Gründer genau auf dieses Konzept hin gestalten. Vier Räume für seine bislang fünf medizinischen Fachangestellten, nur ein Untersuchungsraum für ihn. Kein Empfangstresen, an dem Mitarbeiterinnen zwischen Telefon und Patientenaufnahme hin und herhechten, sondern ein Terminal, an dem jeder sich mit der Versichertenkarte selbst anmeldet. Wer als Nächster an der Reihe ist, erfahren die Patienten im Wartezimmer über ein automatisches Aufrufsystem.

Bessere Patientenversorgung

Mehr Ärzte vom Landleben zu überzeugen, sei eben nur einer von mehreren Wegen zur besseren Patientenversorgung dort, meint Alexander Mittlmeier: "Wie schaffen wir es, dass der einzelne Arzt mehr Menschen erreicht, ohne dass die Qualität leidet? Das ist für mich persönlich die viel spannendere
Frage." Seine Antwort in Maulburg: Standardprozesse digitalisieren, soweit es geht, und vieles an eine relativ große Mannschaft an Fachkräften delegieren. Dreißig Prozent mehr Patienten als Hausarztpraxen im Schnitt, so seine Überzeugung, könne man mit so einem Konzept bewältigen. Nicht etwa als durchtechnisierter Fließbandbetrieb - sondern als atmosphärisch einladende, freundliche Praxis, in der der Arzt und sein Team sich voll auf ihre Patienten konzentrieren. Mittlmeier ist sicher: "Die Digitalisierung macht die Medizin nicht technischer, sondern wieder menschlicher."

Anspruchsvolle Aufgaben sorgen für ein gutes Betriebsklima

Als virtuelles Rückgrat der Praxis dient ein hochmodernes Praxismanagement-System. Die Terminvereinbarung läuft über ein Online-Buchungstool, vor dem Arztbesuch füllen die Patienten daheim am Rechner einen symptomspezifischen Fragebogen aus. "Statt permanent am Telefon zu hängen, haben meine Mitarbeiterinnen genug Zeit, um mich zum Beispiel beim Impfmanagement oder der Wundversorgung zu entlasten." Dass sie anspruchsvollere Aufgaben übernehmen dürfen, trage auch zu einem guten Betriebsklima bei. Mittlmeier, selbst überzeugter Verfechter der sprechenden Medizin, hat sich so den Freiraum für eine umfassende Betreuung seiner Patienten geschaffen: Etwa 35 Stunden wöchentlich, schätzt er, gehören allein ihnen.

Praxis erweitern und ärztliche Kollegen anstellen

Was ihn überrascht hat beim Gründen? "Ich hatte mit 600 Patienten im ersten Quartal gerechnet - und dann waren es gleich 1.600." Auch die meisten Älteren hätten kein Problem damit, sich auf die digitalen Tools ihres Hausarztes einzustellen. Schon ein Jahr nach Eröffnung will Mittlmeier den nächsten Schritt gehen und seine Praxis ins obere Stockwerk erweitern. Die Planung dafür läuft, unterstützt von der apoBank und mit einem von ihr empfohlenen Steuerberater an der Seite, der ausgeprägte Branchenkenntnisse mitbringt. Der Neu-Maulburger braucht Platz für ärztliche Kollegen, die er bald anstellen will. Nötig ist das unter anderem, weil auch im benachbarten Schopfheim mit seinen fast 20.000 Einwohnern viele hausärztliche Kollegen kurz vor der Rente stehen.

Ideen zur ambulanten Versorgung entwickeln

Aber Mittlmeier hat noch mehr vor. Sich im Ärztenetz Dreiländereck engagieren, um mit anderen Medizinern aus der Grenzregion weitere Ideen zur ambulanten Versorgung zu entwickeln. Sich noch mehr austauschen mit den Sozialverbänden vor Ort und dem Gemeinderat, planen, wie er seine Praxis mit der Zeitbank.plus verzahnen kann, einem regionalen Netzwerk für Nachbarschaftshilfe. Ich" stelle mir das vor wie eine Zwiebel - viele verschiedene Schichten um den Kern der ärztlichen Versorgung herum und alle helfen mit, damit wir wiederum Patienten helfen können", sagt er. "Gemeinsam mit starken Partnern kann man sowas anpacken.“"

Das Gespräch mit Dr. Alexander Mittlmeier fand im Oktober 2019 statt - zur Person:
Ursprünglich kommt Alexander Mittlmeier aus dem bayerischen Bad Reichenhall, fand aber bereits als Medizinstudent in Freiburg Gefallen an Landschaft und Lebensqualität im Badischen. Nach der Approbation folgten Stationen in der Kardiologie, der Rheumatologie und der Psychosomatik. "Das war alles bereichernd, aber für mich ist die Allgemeinmedizin mit ihrer großen Vielfalt einfach das faszinierendste Fachgebiet*", so Mittlmeier. Seine Praxis für Allgemeinmedizin und Psychotherapie in Maulburg hat der Vater zweier Töchter im Juni 2019 eröffnet. "Mir macht es Spaß, mein eigener kaufmännischer Direktor zu sein - und ich würde es auch anderen Allgemeinmedizinern empfehlen, zumal man die Balance zwischen Berufs- und Privatleben selbst gestalten kann." Zum Workaholic will Mittlmeier sich jedenfalls nicht entwickeln: Der ausgebildete Önologe überlegt, neben dem Arztberuf auch ein wenig Weinbau zu betreiben.