Foto der Tierärztinnen Katja Beyer und Nic Ziegler vor dem Underdog-Bus

"Diese schreckliche Kälte"


Tierärzte im Einsatz für Underdog


Viele Tierärzte setzen ihr Fachwissen neben dem Beruf auch ehrenamtlich ein. So wie die Veterinäre, die für das Düsseldorfer Projekt 'Underdog' kostenlos Tiere von wohnungslosen Menschen behandeln. Was die freiwilligen Helfer antreibt - und welche Herausforderungen diese Arbeit mit sich bringt.             

In ihrer eigenen Praxis behandelt die Tierärztin Dr. Katja Beyer inzwischen ausschließlich Katzen. Katzen, deren Besitzer sie aus gut beheizten Wohnungen zur Untersuchung bringen, gerne im Auto, das bequem vor der Tür geparkt werden kann. Mittwochnachmittags aber wechselt Beyer alle paar Wochen in eine völlig andere Szenerie: in einen kleinen Bus voller tiermedizinischem Equipment, umringt von obdachlosen Menschen, die zu Fuß gekommen sind für eine Gratis-Behandlung ihrer Tiere. Im Wechsel mit sechs weiteren Veterinären ist Beyer hier im Einsatz. Dass die meisten Patienten Hunde sind, bremst ihren Enthusiasmus aber keineswegs.

"2005 haben ein Kollege und ich angefangen mit den kostenlosen Sprechstunden", erzählt sie. "Zwei Jahre später hat das Kind dann mit Underdog einen eigenen Namen bekommen." Noch immer ist sie überzeugt vom Kerngedanken des Projekts, das die apoBank seit Jahren finanziell unterstützt: über das Wohl der Tiere eine Verbindung zu ihren Besitzern herstellen - und so medizinische Versorgung und soziale Arbeit miteinander verknüpfen.

"Wer Platte macht, hat oft einen großen Hund"

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Vor dem Bus ist es kalt im November, Florian mit Schäferhund-Labrador-Mix Sunny wartet auf eine Impfung, Heiko daneben hat seinen Idefix zum Krallenschneiden gebracht. Meist sind es solche Routine-Aufgaben, die die Tierärzte hier im Wechsel erledigen. Entwurmen, Flohhalsbänder austauschen, allgemeine Gesundheits-Checks und die Versorgung kleinerer Wunden sind Standard. Für größere Eingriffe und Kastrationen nutzt das Team, zu dem auch eine tiermedizinische Fachangestellte gehört, einen eigenen Operationsraum samt Narkosegerät im Düsseldorfer Tierheim.

Was die Vierbeiner der Wohnungslosen von denen besser gestellter Besitzer unterscheidet? Meist seien es Mischlinge, so die Veterinärin Dr. Nic Ziegler, nur selten finde sich mal ein Rassehund in der Warteschlange vor dem Bus. "Wer Platte macht, also bei jedem Wetter draußen übernachten muss, legt sich zum eigenen Schutz auch eher ein großes Tier zu als ein Schoßhündchen."

Entspanntere Behandlung dank Terminvergabe

Während die Tierärzte sich um die Hunde kümmern, geht Sozialarbeiterin Julia von Lindern auf die Nöte der Halter ein. Seit Beginn der Corona-Krise finden die Sprechstunden nicht mehr in der belebten Stadtmitte, sondern am Rande Düsseldorfs statt. Direkt vor den Geschäftsräumen der Wohnungslosen-Hilfe asphalt e.V./fiftyfifty, zu deren Angebot Underdog gehört. "Das ist für uns ganz praktisch, weil wir so schnell mal Unterlagen holen können - und ein stabiles Netz haben für die vier Tablets, mit denen die Tierärzte die Daten erfassen," erzählt von Lindern.

Weil die Besitzer der Tiere jetzt außerdem vorab Termine vereinbaren müssen, hat sich die Arbeit der Veterinäre im Bus deutlich entspannt: "Früher im Zentrum hat sich immer ein Pulk von 30, 40 Leuten mit Hunden um uns versammelt", erinnert sich Katja Beyer. "Das ist einer er wenigen Vorteile von Corona: Jetzt herrscht weniger Trubel, wir können uns viel besser auf die Behandlung der Tiere konzentrieren."

Die Infrastruktur ist weggebrochen

Dennoch bleibt die Arbeit im Bus anstrengend, viele Schicksale gehen dem Team nahe. Dass es den Tieren Wohnungsloser aber in jedem Fall schlechter gehe als denen besser gestellter Besitzer, mag Nic Ziegler so pauschal nicht bestätigen. "Die Hunde sind ja meist den ganzen Tag mit ihrem Menschen zusammen, anders als bei den meisten Berufstätigen. Das genießen sie oft sehr."

Viele Wohnungslose sparen so wie Angie, die ihre frierende Mischlingshündin Princess auf dem Arm herumträgt, eher an sich selbst als an ihren tierischen Begleitern: "Fünfundzwanzig Euro brauche ich für Princess im Monat. Zur Not kaufe ich lieber ihr etwas zu fressen von dem Geld vom Jobcenter als mir."

Wobei Sozialarbeiterin von Lindern beobachtet, dass die Lage zahlreicher Wohnungsloser sich in jüngster Zeit enorm verschärft hat. Vielen ist wegen der Schließung von Cafés und öffentlichen Einrichtungen die gesamte Infrastruktur weggebrochen. Es fehlt an Orten, um sich unkompliziert aufzuwärmen oder kostenlos zur Toilette zu gehen.

Durchgefroren nach den Stunden im Bus

"Wir merken außerdem, dass sich unsere Obdachlosen-Zeitschrift schlechter verkauft, weil wegen Corona weniger Menschen unterwegs sind", erzählt von Lindern. "Das wirkt sich natürlich auch auf die Finanzierung von Underdog aus. Im Moment sind wir einfach froh, wenn wir das Angebot so erhalten können."

Für Idefix, Sunny und Princess und ihre Besitzer, die anders als das Team nach dem Besuch am Bus nicht in eine warme Wohnung oder gut geheizte Praxisräume zurückkehren können. Das ist für Tierärztin Nic Ziegler ohnehin die größte Herausforderung bei der ehrenamtlichen Arbeit für Underdog: "Diese schreckliche Kälte. Ich bin im Winter nach den paar Stunden im Bus schon komplett durchgefroren. Wie hält man das aus, wenn man sein ganzes Leben so verbringen muss?"  


Die Gespräche fanden im November 2020 statt.